Zurzeit kursiert eine olle Collage aus dünnen und nicht so dünnen Frauen im Netz, die mit der obigen Headline („When did this become hotter than this?”) überschrieben ist. Wahrscheinich sogar gut gemeint; he, guckt mal, nicht ganz so dünne Frauen sind doch sexier als dünne Frauen, gegen den Schlankheitswahn yadayadayada.
Aber wie wir wissen, ist gut gemeint das Gegenteil von gut gemacht. Denn dünne Frauen sind nicht weniger sexy, toll, intelligent oder auch hässlich, doof und dumm als dicke Frauen. Jede Frau sollte so aussehen dürfen wie sie möchte, und jedes, aber auch wirklich jedes Schönheitsideal schließt bergeweise Damen aus. Die sich dann unsexy fühlen dürfen, obwohl sie vielleicht vor zehn Jahren noch der heißeste Scheiß gewesen wären.
Auch Sprüche wie „Echte Frauen haben Kurven“ sind beknackt, denn jede Frau ist eine echte Frau, ob nun mit Kurven oder ohne.
Daher fand ich diese Collage sehr auf den Punkt, denn sie zeigt, dass es zu jeder Zeit Schönheitsideale gab – und dass ihnen nie alle entsprechen konnten.
(via Happy Schnitzels Getwittere)
Das Thema habe ich in der „Deern“ ausgespart, auch wenn ich einige Studien zu dem Thema in meinen Entwürfen hatte: schlanke Eltern mit dicken Kindern. Es ist nachgewiesen, dass unsere Gene viel damit zu tun haben, wie sich unsere Körper entwickeln. Eher schwergewichtige Eltern erzeugen gerne auch eher schwergewichtige Kinder. Anders herum funktioniert das aber auch. Während meiner Recherche bin ich zum Beispiel auf eine Studie gestoßen, die sich mit Kriegskinder beschäftigt hat, in diesem Fall Leningrad. Eltern, die während der Belagerung durch deutsche Soldaten hungern mussten, brachten Kinder zur Welt, die später, als Nahrung wieder verfügbar war, zu Übergewicht neigten – und zu den Krankheiten, die gerne mit Übergewicht in Verbindung gebracht werden, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes.
Ein Artikel im „Economist“ zitiert eine andere Studie, die sich mit Frauen in den Niederlanden 1944 beschäftigte:
„That a gestating mother’s environment can have a permanent effect on the physiology of her offspring is well established. The children of Dutch women who were pregnant during the “Hunger Winter” of 1944, for example, suffer much higher rates of obesity, diabetes and cardiovascular disease than those born a year or two earlier. Similar observations in other famines, together with experiments on rodents, suggest this is an accidental consequence of an evolutionary adaptation to food scarcity. The offspring of starving mothers, anticipating hard times during their own future lives, adjust their metabolisms to hoard calories. If the hard times then go away, the result is a tendency to put on weight.“
Eine neue Studie der University of Massachusetts beinhaltet Hinweise, dass auch hungernde Väter Einfluss auf das Baby haben können, in dem sich ihr Sperma genetisch an die Nahrungsknappheit anpasst und, schlaue Evolution, dafür sorgt, dass der Nachwuchs die wenigen Kalorien bunkert. Eigentlich eine tolle Sache, aber in unserer schlankheitsfixierten Welt ein Bumerang.
Denn heute wird nicht nur von Kleinkindern schon verlangt, in gewisse Normen zu passen. Seit der allgegenwärtigen Promis, die uns in Klatschblättern oder Websites gefühlt 20 Minuten nach der Geburt schon wieder rank und schlank entgegenlächeln, wird selbst auf Schwangere oder neue Mütter Druck ausgeübt. „He, die Klum war vier Wochen nach der Geburt wieder auf ihrem Ausgangsgewicht – das kannst du auch.“ Selbst in einer Zeit, in der Frauen wirklich, wirklich, wirklich was Besseres zu tun haben, als über ihre Taillenweite nachzudenken, sollen sie nun genau das tun.
Und wer keine Lust hat, nach der Geburt auf Diät zu gehen, der fängt damit eben schon während der Schwangerschaft an. Bloß nicht dicker werden als nötig. Was bei vielen Frauen bedeutet: während der Schwangerschaft zu wenig zu essen, um ja nicht zu viel zuzunehmen. Dass sie damit unfreiwillig dafür sorgen, dass ihre Söhne oder Töchter wahrscheinlich von Geburt an mit dem Problem zu kämpfen haben werden, was die Mütter gerade krampfhaft versuchen zu verhindern – dick sein OMG!!!111! –, ahnen vermutlich nur die wenigsten.
Für mich ist das ganze Thema ein weiterer Baustein zum Thema Körperakzeptanz. Ich finde es unfassbar widerlich, dass Frauen selbst zu einer Zeit, wo es biologisch unausweichlich ist, zuzunehmen, ein schlechtes Gewissen gemacht wird, wenn sie genau das tun: zunehmen. Beziehungsweise dass ihnen quasi schon im Kreißsaal eingetrichtert wird, jetzt aber bitte schnellstmöglich wieder zum vorherigen Körper zurückzukehren, was ebenfalls biologisch gesehen, ziemlich unmöglich ist. Der Körper einer Mutter ist ein anderer als der einer Nicht-Mutter, und das ist völlig in Ordnung so. Ich finde es schon krank genug, dass uns weisgemacht wird, mit 30 noch aussehen zu müssen wie mit 20 und mit 50 wie mit 35. Aber die beknackte Idee, auch bitte während der Schwangerschaft darauf zu achten, nicht fett zu werden, ist an Perfidie kaum noch zu übertreffen. Vielleicht sorgen Studienergebnisse wie die oberen dazu, dass wenigstens während dieser neun Monate der Druck auf Frauen, einem bestimmtes Körperbild zu entsprechen, ein wenig nachlässt. (Ja, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Naiv, ich weiß.)
Am 29. März bin ich in München und lese ab 19 Uhr im Hukodi. Der geschätzte Sebastian Dickhaut und sein Team kochen, und ich lese zwischen den Gängen was aus der „Deern“. Einen Gang hat Sebastian mir schon verraten: Nudeln. War ja klar. Und ich habe mir natürlich irgendwas mit viel Schokolade zum Dessert gewünscht.
Anmelden könnt ihr euch bei Brigitte Emmrich von der Agentur Wellenschlag unter brigitte.emmrich@wellenschlag.net oder 089/90544-102.
Edit: Hier steht jetzt auch das Menü.
Journelle schreibt über ihren noch zu erlangenden „Ernährungsatheismus“ – wunderschönes Wort –, also die Abkehr von allen Glaubenslehren, die Essen betreffen:
„Mein kleines Experiment bewies mir, wovon ich ohnehin schon ausgegangen war. Dank der Aufklärung, der 68er, des Feminismus und wer sich sonst noch mehr oder weniger für gedankliche Freiheit zuständig fühlte, können wir heute glauben was wir wollen und Schuldgefühle und Sex stehen wenn überhaupt nur noch miteinander in Zusammenhang, wenn man fremdgeht.
Wirkliche Schuld empfinden wir nur noch beim Essen.
Sowohl bei mir selbst als auch in meinem Umfeld (digital wie analog) stelle ich die absurdesten Essgewohnheiten fest. So esse ich beispielsweise seit mehr als einem halben Jahr nur drei Mahlzeiten, wobei ich abends auf Kohlenhydrate verzichte. Ich erhoffe mir so, abzunehmen oder wenigstens mein Gewicht zu halten (funktioniert so mittel).
Die Frage nach meiner geistigen Gesundheit ist in Hinblick auf mein Essverhalten durchaus berechtigt. Ich tröste mich aber immer damit, dass die anderen noch verrückter sind.“
Mit „Thinspiration“ bezeichnet man die vielen, meiner Meinung nach viel zu vielen Blogs, egal auf welcher Plattform, deren einziger Zweck ist, extremes Dünnsein zu promoten. Es geht nicht um Schlanksein, es geht nicht um Gesundheit, es geht darum, seinen eigenen Körper als „immer noch viel zu fett“ wahrzunehmen. Winona Dimeo-Ediger hat diesen Blogs einen offenen Brief geschrieben:
„Sometimes I click on thinspiration links to see who is posting them. Almost every time it’s a teenage girl. So here is it what I want to say to you: as long as you are focused on thinspiration you will never truly know inspiration. You will never learn to delve deeper than skindeep. You will never be able to dream about anything bigger than a certain number on a scale or an exposed collarbone. Someday you will look back on your teenage self and want to protect her. Why not start now?
“Nothing tastes as good as skinny feels” is a huge lie. Self-love is delicious, and so is cheese and chocolate cake.“
(Ich bin nicht ganz glücklich damit, dass der Brief auf thefrisky erschienen ist, die auch gerne mal Abnehmtipps und Haarprodukte featuren, aber immer noch besser dort im „Feindesland“ als nirgends. Vielleicht sogar gerade dort.)