Hallo, Brigitte-Leserinnen!

Schön, dass ihr gerade von meinem Artikel „Dicksein ist keine Charaktereigenschaft“ hier rüberklickt. Macht’s euch bequem und nehmt euch nen Keks. Nein, hier gibt es keine Reiswaffeln, sorry.

Unter meinen Artikel tauchen, wie zu erwarten war, die üblichen „JA, ABER …“-Kommentare auf. Ich habe keine Lust, mich da drüben in eine Kommentarschlacht zu werfen und werde daher hier auf ein paar der Bemerkungen eingehen. Enjoy. Achtung, da kommen ein paar Kraftausdrücke, die ich mir in der Brigitte brav verkniffen habe.

Das nervt total, neben dicken Menschen in Zügen/Bussen/Flugzeugen zu sitzen!

Ja, tut es. Was aber auch ein winziges bisschen an den äußerst knapp bemessenen Sitzen liegt. Ich habe netterweise die finanziellen Möglichkeiten, im Zug die 1. Klasse zu buchen, weil ich selbst auch ungern Leuten auf die Pelle rücke. Im Bus habe ich diese Möglichkeit nicht, da müssen wir beide leider damit leben, dass sich unsere Oberschenkel zehn Minuten lang berühren.

Nochmal zu den Sitzen: Ich fliege recht oft und sehe auf jedem Flug, dass auch ein durchschnittlich gebauter Mann über 1,80 m Körpergröße nicht wirklich bequem und entspannt in der Economy unterwegs ist. Und außerdem: Mich nervt es viel mehr, neben Menschen zu sitzen, die offensichtlich Kettenraucher sind oder nicht wissen, wie ein Deo oder eine Dusche funktioniert. Dagegen kann ich aber nichts machen. Menschen sind verschieden. Kommt damit klar. Mache ich ja auch.

Dicksein ist ein Lifestyle, der nicht gefeiert werden sollte.

Äh … was? Echt jetzt? In unserer schlankheitsfixierten Welt ist Dicksein garantiert nichts, was wir Body-Acceptance-Menschen feiern. Wir haben es nur nach meist jahrelangem, aussichtslosen Kampf gegen die Kilos akzeptiert, dass wir nicht in euer Schönheits- und Akzeptanz-Raster fallen. Das feiern wir nicht, aber wir freuen uns, dass wir uns selber nicht mehr so hassen wie ihr uns anscheinend. Und das fühlt sich sehr befreiend und wohltuend an. Sich selber nett zu finden, ist eine wirklich tolle Sache. Solltet ihr auch mal ausprobieren, wenn ihr wieder damit hadert, angeblich drei Kilo zu fett zu sein (was ihr garantiert nicht seid).

Dicksein ist wohl eine Charaktereigenschaft: ihr habt keine Selbstdisziplin, um dünner zu werden, so bäh!

Seufz. Ich kenne keine/n Dicke/n, der nicht einmal, mehrmals, dauernd, sein Leben lang versucht hat, den Zustand des Dickseins zu ändern. Wirklich keine/n. Immer wieder. Das nenne ich Selbstdisziplin.

Jeder, der sich mal etwas länger als eine Bild-Schlagzeile mit dem Thema Abnehmen beschäftigt hat, kennt auch die Zahlen: 95 Prozent aller Menschen, die mal abgenommen haben, nehmen alles wieder zu und packen gerne noch ein paar Kilo drauf. Wenn du mir nicht glaubst, frag deine nächste Beratungsstelle für Essstörungen, die werden dir die Zahl gerne bestätigen. Das heißt: Auch mit aller Selbstdisziplin der Welt werde ich wahrscheinlich nicht dünner werden. Außer ich lege mir eine entspannte Essstörung zu, denn darauf läuft’s hinaus: Um dein hart erkämpftes, niedriges Gewicht zu halten, musst du nämlich weiterhin immer (ich sag das noch mal: immer) weniger essen, als dein Körper will. Drastisch ausgedrückt: Ich muss für den Rest meines Lebens hungern, um nicht wieder zuzunehmen. Das klingt für mich, ehrlich gesagt, deutlich ungesünder als dick zu sein.

Apropos gesund: Ihr Dicken kostet die Krankenkassen voll viel Geld!

Ich zitiere dafür aus dem sehr guten Buch Dick, doof und arm: Die große Lüge vom Übergewicht und wer von ihr profitiert von Friedrich Schorb: Leicht übergewichtige bzw. adipöse Menschen bis zu einem BMI von 35 haben keine signifikant höheren Krankheitskosten als normalgewichtige (BMI 20–25). Erst die wirklich schweren Menschen kosten Geld. Allerdings auch nicht so viel, wie man vielleicht glaubt: Die Behandlungskosten* dieser Menschen belaufen sich auf 530 Millionen. Hört sich irrwitzig viel an, aber: Die Gesamtkosten im Gesundheitswesen liegen bei 240 Milliarden. Wenn ich richtig gerechnet habe, betragen die Kosten also gut 0,2 Prozent des Gesamtetats. Nebenbei: Der Prozentanteil der Menschen mit einem BMI über 35 liegt bei ungefähr zwei Prozent der deutschen Bevölkerung. Im Klartext: Es gibt längst nicht so viele fette Menschen, wie ihr glaubt, und wir kosten viel weniger, als ihr denkt. Geht’s euch jetzt besser?

(*Wobei noch nicht mal klar definiert ist, welche Krankheiten überhaupt durch Übergewicht entstehen. Auch schlanke Menschen haben hohen Blutdruck, Diabetes und Rückenschmerzen.)

Dicke essen den ganzen Tag Junk Food und trinken Limo dazu!

Ich persönlich tue das nicht, bin aber trotzdem dick. Aber selbst wenn ich mich nur von Fertigpizza und Dr. Pepper ernährte, sollte dir das egal sein. Mir ist es auch egal, ob du den ganzen Tag Salat isst. Es geht dich, mit Verlaub, einen Scheiß an, was ich esse. Genau wie es mich einen Scheiß angeht, was du isst.

„Vielleicht ist der Druck für Übergewichtige noch nicht groß genug.“

Das meinst du nicht ernst, oder?

Veranstaltungstipp für Kurzentschlossene

Eine kleine Erinnerung: Ich lese heute um 20 Uhr im Sonnensaal in Roßdorf aus der Nudeldicken Deern vor. Eintrittskarten gibt es für 10 Euro (ermäßigt 9) in der Bücherinsel. Ich würde mich freuen, euch zu sehen und meine lange geübte Unterschrift in eure Bücher zu schreiben. Außerdem hörte ich, es gäbe Sekt – noch ein guter Grund, vorbeizukommen.

This is thin privilege

„Thin people can make jokes about their terrible eating habits and it is taken as simply a joke. Fat people can never even publicly admit to any bad eating habits without the danger that it’ll be turned into a lecture or an example of how horrible all fat people are.” (Link)

Ein tumblr-Blog, das viele Kleinigkeiten, die leider für uns dicke Menschen keine sind, zusammenfast.

Über das Vorher und Nachher in Diätanzeigen

Caitlin schreibt im Ellipses-Project einen lesenswerten Artikel darüber, wie sehr sich Dickenhass und Diätwerbung bedingen:

„Weight loss commercials are powerful purveyors of fat-hatred because they construct the popular image of the fat body. These media representations reinforce the view that the fat body is “other,” that it is defective, abnormal, and abject. Without hatred of the fat body, diet companies cannot profit or recruit new members. Without the condemnation of fatness, there can be no consecration of thinness; they are interdependent and one cannot exist without the other. If fatness is not repulsive or gross or indicative of moral failing then thinness, likewise, cannot become a symbol for discipline, self-control, and virtue. The “before” must be vilified, the fat body must be condemned.“

„Our Absurd Fear of Fat“

New York Times/Opinion: Our Absurd Fear of Fat

In den letzten Tagen las ich im Spiegel, in der SZ und in der NYT über die gefühlt zigste Studie, in der total überraschend festgestellt wurde, dass – nach den heutigen und völlig beknackten BMI-Maßstäben – übergewichtige und leicht adipöse Menschen länger leben als normalgewichtige. Trotzdem kann sich keiner der Artikel verkneifen zu sagen: „Das heißt jetzt aber nicht, dass wir alle sofort ne Packung Chips aufmachen sollten.“ Nein, nein. Wir sollten lieber weiter in unserer Fetthysterie schwelgen, die übliche Panik vor den zwei Kilo mehr auf der Waage zelebrieren und uns weiter an Körpern messen, die offensichtlich vor uns dahinscheiden werden. Na dann.

Paul Campos, dessen Buch The Obesity Myth: Why America’s Obsession with Weight is Hazardous to Your Health ich bereits in der „Deern“ zitierte, hat etwas anderes zu dem Thema zu sagen:

„The study, by Katherine M. Flegal and her associates at the C.D.C. and the National Institutes of Health, found that all adults categorized as overweight and most of those categorized as obese have a lower mortality risk than so-called normal-weight individuals. If the government were to redefine normal weight as one that doesn’t increase the risk of death, then about 130 million of the 165 million American adults currently categorized as overweight and obese would be re-categorized as normal weight instead. (…)

Now, if we were to employ the logic of our public health authorities, who treat any correlation between weight and increased mortality risk as a good reason to encourage people to try to modify their weight, we ought to be telling the 75 million American adults currently occupying the government’s “healthy weight” category to put on some pounds, so they can move into the lower risk, higher-weight categories.“

Das meint er natürlich nicht ernst, denn: Wir wissen immer noch nicht genau, warum jetzt wer wie lange lebt und ob das überhaupt etwas damit zu tun hat, wie leicht oder schwer er oder sie war. In einem Blogartikel, in dem es um Impfgegner ging, habe ich folgende lustige Grafik gefunden, die verdeutlicht, wie schnell man Zusammenhänge herstellen kann, wo keine sind.

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