Mindful Eating – Bewusstes Essen
Ein Artikel in der NYT schreibt über einen neuen Trend, der eigentlich uralt ist: „mindful eating“, also bewusstes Essen. Kurz gesagt: sich wieder aufs Essen zu konzentrieren anstatt es nebenbei runterzuschlingen. Sich darüber klar zu sein, dass man isst anstatt nebenbei fernzusehen, zu lesen, im Netz zu surfen, autozufahren. Und: Essen zu genießen. Darüber nachzudenken, wo es herkommt, wie es zubereitet wurde, jedem Bissen nachzuschmecken, Texturen zu fühlen, Geschmacksnuancen wahrzunehmen.
Im Artikel wird leider wieder der Bogen zu angeblichen Übergewichts-Epidemie geschlagen, was euch aber trotzdem nicht abhalten sollte, den Text zu lesen und euch vielleicht ein paar Dinge mitzunehmen. Ich persönlich halte nichts davon, jeden Bissen 25 Mal zu kauen, um mir bewusst zu werden, dass ich gerade Müsli esse. Aber ich finde es großartig, mich darauf zu konzentrieren, was ich gerade im Mund habe: knackige Körner, die leicht von der Milch aufgeweichten Cornflakes, den krachigen Apfel, den ich hineingeschnitten habe, die süßen Weintrauben, die im Mund zerplatzen.
Ich weiß, dass wir als Diätgeschädigte ein sehr ungesundes Verhältnis zum Essen entwickelt haben – ich jedenfalls. Sobald ich anfing zu essen, stritten sich zwei Emotionen in mir. Ich war hungrig (trotz toller Diätpläne und Vorsätze und Disziplin und dem ganzen Scheiß), und deswegen wollte ich essen. Der Plan sah nun aber nicht die Portion vor, die ich gerne gehabt hätte. Ich wusste, sie würde mir nicht reichen, weswegen ich es sehr schwer fand, mich über das Essen zu freuen. Es fühlte sich an wie eine Fernbeziehung, in der man sich nur am Wochenende sieht, und man fängt Freitag schon an, sich vor dem Sonntag zu fürchten, an dem man sich wieder trennt, weswegen man die Zeit überhaupt nicht genießen kann.
Die zweite Emotion war ähnlich: Jede Mahlzeit war ein Test in Selbstbeherrschung anstatt Genuss und Nahrung. Jede Mahlzeit hieß: wissen, dass ich nicht genug bekomme und mich selbst davon zu überzeugen, dass es aber doch genug sei. Als Verlockung im Hintergrund waberte immer der Gedanke: Nimm doch noch nach. Koch doch einfach mehr als im Plan vorgesehen. Iss doch mal, so viel du willst. Weswegen keine Mahlzeit eine Mahlzeit war, sondern ein ewiger innerer Kampf.
Das hat sich inzwischen netterweise sehr geändert. Inzwischen ist Essen Genuss, und um dahin zu kommen, ist bewusstes Essen ein guter Weg, denn es bedeutet auch: auf sich selbst zu hören, wann man hungrig ist und wann man satt ist. Ich merke selbst an mir, dass ich gar nicht mitbekomme, was genau ich esse, wenn ich nebenbei eine Serie weggucke oder ganz dringend meine Mails abrufen muss. Ich merke aber auch, um wieviel mehr Genuss ich empfinde, wenn ich wirklich nur esse. Nicht mal besonders langsam und wie gesagt, ich kaue nix 25 Mal zu Brei, aber eben bewusst. Ich schaffe es nicht bei jeder Mahlzeit, aber ich habe es mir angewöhnt, in meiner Mittagspause erstmal nur zu essen, bevor ich mein unvermeidliches Buch aus dem Rucksack ziehe und mich geistig für eine halbe Stunde aus der Welt ausklinke (sehr empfehlenswert, aber das nur so nebenbei). Ich versuche, auch abends, wenn ich sehr hungrig aus der Agentur komme, nach dem Kochen nicht alles in zwei Minuten runterzuschlingen, sondern mir bewusst zu machen, was ich da gerade für mich oder uns gezaubert habe. Und selbst wenn es nur eine Portion Nudeln mit Tomatensauce ist, wird in meinem Mund und durch meine Sinne ein Festmahl daraus – wenn ich es zulasse.
Bewusstes Essen kann unser gestörtes Verhältnis zum Essen verbessen. Fühlen, was man isst. Den Geschmacksnoten nachspüren. Zutaten erst einmal anfassen, „be-greifen“, an ihnen riechen, sich vergegenwärtigen, was für wunderbare Geschmäcker sich in ihnen verbergen. Und vielleicht ein kleiner Moment der inneren Einkehr, bevor man sich über sie hermacht. Das muss kein Tischgebet sein, aber mal kurz Danke zu sagen, bedeutet mir inzwischen sehr viel. Meistens bedanke ich mich bei mir selbst, dass ich so feines Fresschen produziert habe. Was eine sehr andere Art ist, mit mir umzugehen, nachdem ich jahrelang damit beschäftigt war, mich und meinen Körper zu hassen.
Also nochmal: Genieß dein Essen. Mach es dir bewusst. Sei gut zu dir. Eigentlich ganz einfach.
(Link via @jungspund)